Weihnachten ohne Stress – klingt das für Sie wie ein Widerspruch? Die Adventszeit soll besinnlich sein, das Fest der Liebe friedlich. Doch die Realität sieht oft anders aus: Überfüllte Geschäfte, endlose To-Do-Listen, angespannte Familienessen. Statt Entspannung herrscht Perfektionsdruck. Statt Freude macht sich Erschöpfung breit.
Als Heilpraktiker für Psychotherapie erlebe ich in meiner Praxis in Hamburg-Bergedorf jedes Jahr aufs Neue, wie die Weihnachtszeit Menschen an ihre Grenzen bringt. Paare, die sich über die „richtige“ Art zu feiern streiten. Einzelne, die unter dem Druck leiden, allen gerecht werden zu müssen. Familien, in denen alte Konflikte hochkochen.
Dabei ist Weihnachten eigentlich eine schöne Sache. Die Frage ist: Wie können wir diese schöne Seite erleben, ohne in die Stressfalle zu tappen? Nach 20 Jahren Auseinandersetzung mit Improvisation habe ich festgestellt: Die Prinzipien der Improvisation bieten einen überraschend hilfreichen Umgang mit den Herausforderungen der Weihnachtszeit.
Warum Weihnachten so stressig sein kann
Weihnachten ist ein perfekter Nährboden für psychischen Druck. Nirgendwo sonst treffen so viele verschiedene Erwartungen aufeinander:
Die eigenen inneren Bilder: Wie Weihnachten „sein sollte“ – oft geprägt durch Kindheitserinnerungen oder Werbung. Kerzen, Glanz, harmonische Familien, die lachend um den Tannenbaum sitzen.
Die Erwartungen der Familie: Traditionen müssen gewahrt werden. Oma ist enttäuscht, wenn man nicht kommt. Die Schwiegermutter erwartet selbstgebackene Plätzchen.
Gesellschaftlicher Druck: Alle anderen scheinen perfekte Weihnachten zu haben (zumindest auf Instagram). Wer gestresst ist oder sich unwohl fühlt, hat das Gefühl, etwas falsch zu machen.
Zeitdruck: Zwischen Jahresendspurt im Job, Geschenken besorgen und Festtagsvorbereitungen bleibt kaum Luft zum Atmen.
Das Ergebnis? Viele Menschen sind an Weihnachten erschöpfter als erholt. Eine Studie der Universität Göttingen bestätigt: Menschen sind rund um Weihnachten deutlich unzufriedener und emotional belasteter als im Rest des Jahres. Weihnachten ohne Stress scheint unerreichbar.
Die Erwartungsfalle: Wenn „sollte“ regiert
In meiner therapeutischen Arbeit fällt mir auf, wie oft das Wort „sollte“ in Gesprächen über Weihnachten auftaucht:
- „Es sollte harmonisch sein.“
- „Ich sollte mich freuen.“
- „Die Kinder sollten sich über ihre Geschenke freuen.“
- „Wir sollten uns als Familie nah fühlen.“
Diese „Sollte“-Sätze sind wie Gefängniszellen. Sie lassen keinen Raum für das, was tatsächlich ist. Wenn die Realität nicht dem entspricht, was „sein sollte“, entsteht Enttäuschung. Und diese Enttäuschung richtet sich oft gegen uns selbst oder gegen andere. Der innere Kritiker wird aktiv.
Projektionen spielen dabei eine große Rolle: Wir projizieren unsere Sehnsüchte, unsere Kindheitserinnerungen, unsere Ideale auf die Weihnachtstage. Das kann eine schöne Motivation sein – aber es wird zur Last, wenn wir nicht bereit sind, die Realität anzunehmen, die sich tatsächlich zeigt.
Ein Beispiel aus meiner Praxis: Ein Paar kam nach Weihnachten zu mir, massiv zerrüttet. Sie hatten sich gestritten, weil er nicht die „richtige“ Begeisterung für ihr aufwändiges Weihnachtsessen gezeigt hatte. Was war passiert? Sie hatte ihre eigene Vorstellung von einem „perfekten Weihnachtsabend“ auf ihn projiziert – ohne zu fragen, was er sich eigentlich wünscht. Er wiederum hatte seine Erwartung, dass sie „einfach entspannt sein sollte“, auf sie projiziert.
Beide hatten vergessen, was Weihnachten eigentlich sein könnte: Ein Moment der Begegnung. Nicht mit dem Ideal, sondern mit dem Menschen, der tatsächlich vor einem sitzt.
Was wir von der Improvisation lernen können
In der Improvisation gibt es keine Perfektion und auch keinen unabänderlichen Plan. Es gibt nur das, was entsteht – im Moment, gemeinsam, unvorhersehbar. Durch eigene Erfahrung habe ich gelernt: Das ist keine Schwäche, sondern eine Stärke.
Die Grundhaltung der Improvisation passt erstaunlich gut zu einem entspannten Umgang mit Weihnachten. Hier sind die wichtigsten Prinzipien:
1. „Ja, und…“ statt „Ja, aber…“
In der Improvisation nehmen wir an, was unser Gegenüber uns gibt – und bauen darauf auf. Wenn jemand sagt „Schau, ein Elefant!“, streiten wir nicht, dass es keinen Elefanten gibt. Wir sagen: „Ja, und er hat einen lustigen Hut auf!“
Für Weihnachten bedeutet das: Nehmen Sie an, was ist. Ihre Schwiegermutter hat zu viel gekocht? Ja, und Sie können morgen die Reste genießen. Der Tannenbaum ist schief? Ja, und genau das macht ihn besonders. Oma erzählt zum dritten Mal die gleiche Geschichte? Ja, und vielleicht entdecken Sie diesmal ein Detail, das Ihnen vorher nicht aufgefallen ist.
„Ja, und…“ ist keine oberflächliche Positivität. Es ist die Bereitschaft, mit dem zu arbeiten, was da ist – statt gegen das zu kämpfen, was nicht da ist.
2. Im Moment bleiben
Improvisation findet immer im Jetzt statt. Nicht in der perfekten Szene, die wir uns vorgestellt haben, sondern in dem, was gerade geschieht.
Für Weihnachten bedeutet das: Lassen Sie das Idealbild los. Ihr Weihnachten muss nicht aussehen wie in der Werbung. Es darf sein, wie es ist. Mit allen Macken, allen unerwarteten Wendungen, allen unperfekten Momenten.
Oft sind es gerade die ungeplanten Momente, an die wir uns später am liebsten erinnern. Das verbrannte Essen, über das alle lachen mussten. Der spontane Spaziergang im Schnee, weil das Festprogramm sowieso schon aus dem Ruder gelaufen war.
Weihnachten ohne Stress beginnt mit der Bereitschaft, im Hier und Jetzt zu sein – statt in einem Fantasie-Weihnachten.
3. Den anderen stärken, nicht korrigieren
Ein zentrales Prinzip der Improvisation: Wir machen unseren Mitspieler zum Helden der Szene. Wir korrigieren nicht, wir ergänzen.
Für Weihnachten bedeutet das: Statt zu kritisieren, wie andere Weihnachten „falsch“ feiern, können wir würdigen, was sie einbringen. Onkel Hans macht schlechte Witze? Vielleicht ist das seine Art, Nähe herzustellen. Ihre Partnerin braucht stundenlang, um den Baum zu schmücken? Vielleicht ist das ihre Meditation.
Wenn wir den anderen in seiner Art, Weihnachten zu erleben, bestärken, statt ihn zu korrigieren, entsteht Raum für echte Begegnung.
4. Scheitern dürfen
In der Improvisation gibt es keine Fehler. Es gibt nur Angebote. Wenn etwas nicht funktioniert, improvisieren wir weiter.
Für Weihnachten bedeutet das: Sie haben die Ente verbrannt? Bestellen Sie Pizza. Sie haben das Geschenk vergessen? Schreiben Sie einen persönlichen Brief. Das Familientreffen ist angespannt? Schlagen Sie einen Spaziergang vor.
Weihnachten ohne Stress gelingt, wenn wir uns erlauben, nicht perfekt zu sein. Wenn wir uns und anderen zugestehen, dass Weihnachten auch mal schiefgehen darf – und das okay ist.
Praktische Tipps für Weihnachten ohne Stress
Aus der Kombination von therapeutischer Erfahrung und Impro-Haltung ergeben sich konkrete Empfehlungen:
1. Klären Sie Erwartungen im Vorfeld Sprechen Sie mit Ihrer Familie, Ihren Partner*innen, Ihren Freunden: Was ist uns wichtig? Was braucht jeder von uns? Wo können wir Kompromisse finden?
2. Setzen Sie Prioritäten Nicht alles ist gleich wichtig. Entscheiden Sie bewusst: Was wollen Sie beibehalten? Worauf können Sie verzichten?
3. Planen Sie Pausen ein Weihnachten ist ein Marathon, kein Sprint. Gönnen Sie sich Momente der Ruhe zwischen den Festivitäten.
4. Erlauben Sie sich, Nein zu sagen Sie müssen nicht zu jedem Treffen gehen. Sie müssen nicht alle Erwartungen erfüllen. Ein klares, freundliches Nein kann für alle Beteiligten eine Erleichterung sein.
5. Üben Sie Selbstmitgefühl Wenn es schwierig wird: Seien Sie freundlich zu sich selbst. Sie tun, was Sie können. Das ist genug.
Wenn es trotzdem schwierig wird
Manchmal reicht die beste Improvisation nicht aus. Wenn alte Familienkonflikte hochkochen, wenn die Feiertage tiefere Themen berühren – dann kann professionelle Unterstützung sinnvoll sein.
In meiner Praxis in Hamburg-Bergedorf begleite ich einzelne Menschen und Paare dabei, mit belastenden (Weihnachts)erfahrungen umzugehen. Als Heilpraktiker für Psychotherapie arbeite ich mit Ansätzen wie Gestalttherapie und Somatic Experiencing – und ja, auch mit Prinzipien aus der Improvisation.
Gerade nach den Feiertagen merken viele: Da ist etwas, das geklärt werden muss. Ein Konflikt, der sich wiederholt. Eine Dynamik, die sich nicht mehr gut anfühlt. Dann ist der Januar oft ein guter Zeitpunkt, um sich Unterstützung zu holen.
Fazit: Weihnachten als Improvisation
Weihnachten ohne Stress ist möglich – nicht durch Perfektion, sondern durch Akzeptanz. Nicht durch starre Pläne, sondern durch flexible Improvisation. Nicht durch überhöhte Erwartungen, sondern durch Präsenz im Moment.
Die Haltung der Improvisation lehrt uns: Es geht nicht darum, Weihnachten „richtig“ zu machen. Es geht darum, mit dem zu arbeiten, was ist. Und manchmal ist das Beste, was wir tun können, einfach „Ja, und…“ zu sagen – zu uns selbst, zu anderen, zum Leben, wie es sich zeigt.
In diesem Sinne: Frohe Weihnachten. Mit allem, was kommt. Mit allen, die da sind. So, wie es ist.
Sie möchten nach Weihnachten etwas klären? Ich biete in meiner Praxis in Hamburg-Bergedorf kurzfristig Termine für Psychotherapie, Paartherapie und Coaching. Meist innerhalb weniger Tage verfügbar.
Kontakt: info@dirkschulte.net ☎️ 040 22862360
